Sunday, June 01, 2014

Junge Römer und alte Nordkoreaner

 
La Roma!
Leichtlebig, locker, luftig, keine andere Stadt wurde von Federico Fellini so lebendig, verspielt und zugleich sorglos verfilmt, wie das Rom der Nachkriegsjahre. Sandro Veronesi spann den Faden weiter, heraus kommt der Roman „Die Berührten“, eine Zeitreise in die 1980er-Jahre. Veronesi beschreibt eine junge, dekadente Gesellschaft, die sich unbekümmert durch die Stadt treiben lässt.
Ohne Hysterie
Der junge Graphologe Mète ist Teil dieser Generation, doch der Schein trügt. Der Hang zu seiner Halbschwester stellt nicht nur sein beschauliches Leben, sondern auch die Geduld des Lesers auf die Probe: Eine mangelnde Charakterentwicklung der Hauptfigur führt hier zu einer inhaltlichen Sackgasse. Als Kontrapunkt lädt der Autor jedoch in eine pulsierende Stadt ein, die das hysterische Geschrei anderer Großstädte nicht mitmachen muss. Veronesi weiß unheimlich viel von den Plätzen, der Bauart der Häuser und lässt hier ein erstaunliches Lebensgefühl entfalten. Es scheint der literarische Soundtrack zu Falcos LP „Junge Römer“ zu sein, ein ewig unterschätztes Werk. Jedoch hatte Falco einen Vorteil: Er bediente sich dem Zeitgeist und zelebrierte eine aalglatte Welt, ohne Probleme. Sandro Veronesi Roman hätte das auch gut getan.
 


Holyday in Nordkorea!

Christian Eisert ist einer der jüngeren deutschen Autoren, die keine Angst haben, brennend heiße Themen anzupacken. Anzupacken im wahrsten Sinne des Wortes, denn Eisert schreibt nicht nur über Nordkorea, sondern er fährt auch dorthin, um Urlaub zu machen. Das romanartige Sachbuch „Kim & Struppi“ beginnt mit einem Rückblick: Eisert wächst in Ostberlin auf und im Zuge eines Schulbesuchs einer nordkoreanischen Delegation erfährt Eisert über die Existenz einer regenbogenfarbenen Kinderrutsche in einem Vergnügungspark von Pjöngjang. 25 Jahre danach begibt sich Eisert mit seiner Kollegin, der Fotoreporterin Thanh Hoang, auf die Suche nach der regenbogenfarbigen Kinderrutsche.

 Reise in das böse Land

Unter falschen Angaben ergattern sie sich ein Visum nach Nordkorea und gehen mit zwei dafür abgestellten Reiseführern auf Besichtigungstour. Die Betreuer versuchen den beiden Urlaubern ein fast perfektes Land vorzuspielen. Natürlich misslingt die Mission, doch Eisert macht sich nicht darüber lustig, sondern er beschreibt ein Land, das zwar am Abgrund steht, in sich aber doch funktioniert. Hinzu kommt in Nordkorea eine kindliche Naivität, sich an gewöhnlichen Dingen zu erfreuen: Ein schöner Sonnenaufgang, die Mandelblühte und auch Fruchtgummis, die man nicht kennt, sind viel wert. Trotzdem verändern sich die beiden Reisenden. Eisert wird zurückhaltend und paranoid, seine kongeniale Begleiterin Thanh Hoang, wird aggressiv und zugleich verärgert, da Nordkorea naturgemäß einengend ist.

Eisert kommt aus der DDR, er weiß wie Systeme funktionieren, so taucht er in Nordkorea in die Welt seiner Kindheit und Jugend ein. Aber er behält die Übersicht, trockene Kommentare zeugen davon. Fazit: Wie kann man ein 250 Seiten starkes Buch über ein Land schreiben, in dem „nichts“ passiert? Indem man genau hinsieht! Eisert kann das sehr gut. 100.000 Kim Il-sung Porträts konnten ihm die Sicht nicht verstellen.

Wa.

 Christian Eisert: „Kim & Struppi – Ferien in Nordkorea“, Ullstein Verlag, 317 Seiten.

Sandro Veronesi: „Die Berührten“ Klett-Cotta, 384 Seiten.

 

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