Wednesday, December 29, 2021

Back in the DDR!


 


Georg Baselitz füllt noch immer die Museen, jetzt werden seine Anfangsjahre literarisch gedeutet. 

 

Mit „Raumfahrer” legt der junge deutscher Autor Lukas Rietzschel seinen zweiten Roman vor. Der Maler Georg Baselitz, oder genauer gesagt Baselitz durch die Welt um ihn herum zu erklären, ist das Thema des Romans. Im Detail geht es um den unbekannten Bruder des Künstlers, um Günter, der im Gegensatz zu seinem berühmten Bruder, in der DDR zurückblieb, nicht wegkonnte oder zumindest nicht wollte, während sein Bruder ins chaotische West-Berlin der Nachkriegsjahre hineintauchte. 

 

Im Dickicht der DDR

Hinzu kommt, dass die erzählende Figur, ein Junge namens Jan, plötzlich mit einem Schwall von festgehaltenen Erinnerungen konfrontiert wird, die der längst verstorbene Günter für ihn hinterlassen haben soll, mit der Bitte das Konvolut zu lesen. Als Vermittler gilt der an den Rollstuhl gefesselte Sohn des Baselitz-Bruders, der im Familiennamen noch Kern heißt, wie der Künstler eben auch, bevor er sich als Künstlername den Namen seines Geburtsortes aneignete: Baselitz. Hier fängt eigentlich die Geschichte an, gepaart mit starken literarischen Bildern, die in Beziehung zu weltberühmten Baselitz-Bildern stehen. 

Einen nicht unwesentlichen Punkt scheinen auch Jans Eltern zu spielen, vor allem die schon verstorbene Mutter und so ist es auch eine Reise in die DDR, zurück in die andere deutsche Geschichte nach dem 2. Weltkrieg. Genauer in die Dresdner Vorortlandschaft, dem Plattenbau-Dorado oder der Plattenbau-Hölle, je nachdem, von welchem Blickwinkel aus man die vielseitige Geschichte lesen mag. Lukas Rietzschel gräbt sich also durch die jüngere deutsche Vergangenheit und kommt in der Gegenwart raus. Aber der Blick ist doch eher auf die alte DDR gerichtet, als man eben dort an eine alternative Zukunft glaubte, von der heute sehr oft nicht einmal mehr Erinnerungen existieren würden, würden sich nicht Künstler um das „Ephesus aus Beton” kümmern. Baselitz darf bereits zu Lebzeiten wiederentdeckt werden, zumindest literarisch.

 

Ein schwedischer Klassiker 

Henning Mankell sollte wiederentdeckt werden. Mankell war ja einer der wesentlichen Autoren, wenn nicht der wesentlichste, der den Krimi aus dem Norden Europas auf eigene Beine stellte. Der Sog seiner Wallander-Krimis war so stark, dass sich daraus ein ganzes Genre entwickelte, das in Europa nach wie vor den Markt beherrscht: Skandinavische Kühle und Gelassenheit sind vordergründig, relativ viel unberührte nordische Landschaft, sozialkritische Stoffe und meistens eine irrer, bösartiger Hauptcharakter werden zur Hauptzutat, dem Ermittler, beigemengt, der nach Möglichkeit die gute Seite der nordischen Errungenschaften darstellt. Erst jetzt wird mit „Der Verrückte“ ein Frühwerk des 2015 verstorbenen Autors herausgebracht.  

Die Zutaten sind die gleichen, wie vorhin genannt, aber es ist kein Krimi, sondern ein Spannungsroman, der auf Tatsachen beruht. Nach dem 2. Weltkrieg geht Bertil Kras in ein kleines Dorf im hohen Norrland, um in einem Sägewerk Arbeit zu finden. Das Dorf hat jedoch eine schwere Bürde zu tragen: Im nahegelegenen Wald wurde im 2. Weltkrieg ein Lager errichtet, in welchem politisch Andersdenkende inhaftiert wurden, auch waren Teile der norrländischen Gesellschaft mit der politischen Entwicklung im Nazi-Deutschland gar nicht so unglücklich. Am Ende des Romans steht ein Verrückter, der das Sägewerk abfackelt. Aber war er wirklich so verrückt? Mankell nimmt sich hier bereits als 29-jähriger Zeit und Geduld, um die Geschichte schonungslos zu erzählen. Er hat bereits als junger Autor einen erstaunlich langen Atem und scheint von großer Menschenkenntnis beseelt zu sein. Es wird tatsächlich Zeit die nordische Galionsfigur abseits seinen Wallander-Krimis zu entdecken. 

 

© Vorarlberger Nachrichten, Martin G. Wanko

 

Lukas Rietzschel „Raumfahrer“, 287 Seiten, dtv

 

Henning Mankell: „Der Verrückte“, 505 Seiten, Zsolnay


Wednesday, December 08, 2021

Serien sind nicht nur im Stream en vogue, in der Literatur boomen sie ebenso.


 Till Raether schickt mit „Hausbruch“ seinen Ermittler Danowski zur Reha, an die Ostsee. Carsten Sebastian Henn macht einen weiteren hochprozentigen Krimi. 

 

Carsten Sebastian Henn hat schon seit längerem den Alkohol für sich entdeckt. Jetzt nicht im herkömmlichen Sinne, sondern literarisch. Buchreihen über Buchreihen, die um Julius Eichendorff ist die bekannteste. Seine Ermittler sind hauptberuflich Köche, Professoren und eben Hobby-Detektive. Dazu gehört dem Autor auch ein Weingut an der Mosel, er weiß also worüber er schreibt, technisch gibt es auch nichts auszusetzen. Wirklich trendy wurde er, als er mit „Gib dem Leben einen Gin”, auf den Gin-Hype aufsprang und eine Story rund um eine verschollene Gin-Rezeptur niederschrieb. Mit „Rum oder Ehre“ geht es nun, nicht schwer zu erraten, um Rum und Crime. 

 

Rum soweit das Auge reicht

Ausgangspunkt ist Flensburg in Deutschland, eine der historischen Rum-Hochburgen in Europa. Im Zentrum steht der nicht mehr so ganz fitte Martin, genannt Käpt‘n, dessen Bruder Christian, ein talentierter Rum-Blender, in seinen jungen Jahren nach Jamaika ging und seitdem als verschollen gilt. Plötzlich tauchen bei Martin Briefe seines Bruders auf, die von einem turbulenten Leben auf der Karibikinsel erzählen. Grund genug um Christian, den sie auf Jamaika alle ehrenvoll „den Professor” nennen, einen Besuch abzustatten, um zumindest seinen Spuren zu folgen - wer weiß, ob der Bruder noch lebt. Angekommen auf der Insel, wird der Käpt‘n sofort mit einer Taxifahrerin bekannt, die sich für den Aufenthalt als Chauffeurin anbietet. Das alles geschieht nicht ohne Hintergedanken, denn Martin könnte ihr Onkel sein, da ihre Mutter mit dem verschollenen Christian eine Liaison hatte. Kurz nach der Ankunft gibt es bereits den ersten Toten. 

Der Leser kommt im ersten Drittel des Romans einigermaßen ins Schnaufen, weil eben der Inhalt eingearbeitet werden muss. Vielleicht etwas viel am Tablett, aber dafür sind die Storys gut gebaut und machen jetzt auf witzige Art Lust tatsächlich einmal einen Abstecher an die Karibik, abseits der weißen Strände, zu machen. Reggae, Ska und der Mythos Rum, das mag man, oder mag man nicht. Interessant ist, dass Alkohol, verbunden mit dem Profil der Regionen, immer mehr als „bürgerliches Kulturgut“ wahrgenommen wird, das sich für Krimis sehr gut eignet. Vorbei sind die Zeiten eines Charles Bukowskis und seiner wüsten Welt, lieber spaziert man die anmutigen Wege Martin Walkers oder Alfred Komareks nach. Carsten Sebastian Henn ist bisweilen vielleicht eine Spur zu nett und praktikabel, sein Protagonist könnte ruppiger sein. Unterm Strich hat der Roman jedoch seine Momente, der Leser profitiert durch sein ausgezeichnetes Fachwissen und an manchen Bars könnten seine nicht alltäglichen Drinks und Kuchen durchaus für Abwechslung sorgen. 

 

Der Polizist in der Sinnkrise

Adam Danowski ist so ziemlich das Gegenteil von Carsten Sebastian Henns Käpt’n. Danowski ist Polizist aus Leidenschaft, besser gesagt war er das. Till Raether schickt ihn bereits das sechste Mal ins Rennen, aber es läuft nicht mehr so wirklich rund. Im fünften Fall ging so ziemlich alles schief. Hier war er 24 Stunden in der Gewalt eines entflohenen Straftäters. Der Fall ging nicht ohne Pannen ab und so befindet sich der geschundene Danowskinun auf Reha an der Ostsee. Ganz nebenbei entwickelt der Autor ein Pärchen, welches sich ebenso auf Erholung befindet. Langsam und nüchtern strukturiert, in bester nordischer Qualität, lässt er hier eine ziemlich kaputte Beziehung entstehen, wo am Ende des Tages nur die Frau überbleibt und diese geht nun zu Danowski beichten. Die Kritik meint, Danowski nähme im sechsten Fall relativ spät Fahrt auf. Aber, warum auch nicht? Ein Ermittler darf auch einmal lethargisch sein und der Autor kann diese Zeit literarisch zu Nutze machen. Till Raether schafft das sehr gut. Wer mehr Action haben will, sollte den Vorgänger „Unter Wasser“ lesen.

 

Martin G. Wanko / © Vorarlberger Nachrichten