Monday, November 05, 2012

Illies!

1913 - das goldene Jahr.
 


Mit wesentlich mehr Ereignissen bombardiert einen hingegen Florian Illies, der mit „1913 Der Sommer des Jahrhunderts“ ein ausgezeichnet recherchiertes und außerdem literarisch geschriebenes Sachbuch verfasst hat. Illies kennt man eigentlich aus einer anderen Ecke: Der ehemalige Kulturjournalist  schrieb mit „Generation Golf“ und „Generation Golf II“ die Fahrkurse für gelangweilte Wohlstandsjugendliche in der Jahrtausendwende, die gerade einmal das Zündschloss im Golf fanden. Irgendwie machte das Illies nicht zwingend sympathisch, und ein bisserl ein Streber ist er ja geblieben, ich würd den gern mal sehen, wenn er nix tut - aber auch Illies musste erwachsen werden: Nun setzt er im Jahre 1913 den Sommer eines Jahrhunderts an, also den Höhepunkt des letzten Jahrhunderts, mit dem Fokus auf Mitteleuropa gerichtet. Knapp vor dem 1. Weltkrieg, in der Blüte des Expressionismus, der Tiefenpsychologie, alles ist politisch sehr angespannt und riecht schon förmlich nach epochaler Chemie – und der Autor baut hier ein Mosaik aus kleinen Happen, lässt so ein hundert Jahre altes Stimmungsbild wieder aufleben.

 
Die Stimmung vor 100 Jahren.

 
Ein kleiner Einblick gefällig? Luis Armstrong tauscht im Jugendheim die Pistole gegen eine Trompete, Franz Kafka schreibt die Verwandlung und seinen 200stem Brief an Felice Bauer … Lou Andreas-Salome macht in Wien ziemlich viele Männer verrückt, während in Schönbrunn Stalin und Hitler in den gleichen Parkanlagen sitzen … Schönberg hasst die Unglückszahl 13, während Thomas Mann eine Kritik ins Unglück stürzt … Proust erbaut sich seine eigene Schutzkammer auf der Suche nach der verlorenen Zeit und Gertrude Stein formuliert den berühmten Satz „Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose“, während Max Beckmann sein Gemälde „Der Untergang der Titanic“ abschließt.

 
Wa.

Florian Illies: „1913 Der Sommer eines Jahrhunderts“, S. Fischer Verlag, 319 Seiten.

 


Wanko läuft!






... und schreibt darüber im Magazin Sport Aktiv. Wanko läuft!


Wa.

Saturday, November 03, 2012

Und bis dorthin sind „wir“ jetzt einmal tot.


You Tube GAK-Video (c) M. G. Wanko

Man stirbt nur einmal, das ist dem GAK passiert, am 30. Oktober 2012 war es soweit. Nach 110 Jahren schließt der GAK seine Pforten. Was hast du, Roter, gerade gemacht, als du erfahren hast, dass dein Verein den Bach runtergegangen ist, wird man einmal unter Kumpels fragen. Ich, für meine Wenigkeit hatte einen normalen Arbeitstag am Laufen, es war ja auch ein normaler Montag. Ich hatte eine berufliche Besprechung und bat einen Freund von mir, mich auf dem Laufenden zu halten, falls das Schlimmste eintreten sollte. Es hat ja jeder Fan gewusst, dass es zur Fortführung des insolventen Vereis bis zu Mittag 25.000 Euro brauchen würde. Mein Termin war vorbei und mein Freund schickte mir kein SMS, ich war also guter Dinge, dass „mein“ Verein sich zumindest noch auf der Intensivstation befinden müsste.

 

Ja Pustekuchen, nichts war mehr so, wie noch am Morgen. Rein informativ schaute ich auf Facebook und die erste Nachricht war bereits von Jakob Unt online. „R.I.P. mein über alles geliebter GAK. War eine tolle Zeit mit dir.“ Das war so etwas wie ein Schlag in die Magengrube. Dumpf, aber mit sehr viel Kraft dahinter. Ich spürte, wie sich in mir Tränen sammeln, konnte sie aber nicht ablassen. Anstatt dessen verschickte ich in der Familie ein SMS: „GAK tot“. Sonst nichts. Einige Minuten später rief mich meine Tochter an. Es ginge ihr sehr schlecht. Meine Nachricht macht sie fertig. Ob sie den Nachmittagsunterreicht gehen muss. Nein, musst du nicht, antwortete ich ihr. Sie ging dann trotzdem in den Nachmittagsunterricht, ich wollte aber die Entscheidung ihr selbst überlassen. Ich ging dann schnell einkaufen und fuhr noch am Nachmittag in die Obersteiermark um die Gräber meiner Vorfahren für Allerheiligen zu richten. Während der Autofahrt telefonierte ich mit Freunden, die dasselbe Schicksal mittrugen. Jeder war überrascht, dass es dann doch so schnell gehen kann. Aber auch von ihnen verlor keiner eine Träne, zumindest nicht merklich.

 

Später am Abend saß ich dann in einem Bistro um die Ecke bei mir zuhause, trank ein Glas Wein und sah auf meinem Smartphone die vielen Facebook-Eintragungen. Ja, dachte ich mir, die kriegt auch nicht jeder, da ist nun schon was fertig, aber so richtig spürbar war es für mich nicht. Erleichterung spürte ich aber auch keine. Das einzige was passierte, war, dass mir der österreichische Fußball von einem Moment auf den andere gleichgültig wurde, auch der Stadtrivale verlor plötzlich sehr stark an Wert. Ich wollte mich auch an keine tollen Spiele erinnern, auch nicht an das Lebensgefühl, das meinem Verein innewohnte. In der Fußballlandschaft in meinem Kopf war nichts als ein aussagloses Nichts. Eine Landschaft vor dem Urknall, wenn man so will.

 

Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass der GAK in den letzten Jahren nicht immer durch die reine Liebe zum Verein am Leben gehalten wurde, sondern durch ein Kalkül. Trotz aller Schmerzen, weil ein Verlust war es ja, konnte ich nicht mehr darauf losheulen, sowie in dem Moment als der GAK zum Zwangsabstieg verdonnert wurde, oder der knappe Sieg gegen Blau Weiß Linz vor drei Jahren dennoch nicht zum Meistertitel reichte. Dieses Mal ist der GAK an läppischen 25.000 Euro gescheitert, die als Fortführungskaution hinterlegt werden hätten müssen. Das ist ungefähr ein 500stel von dem Budget, das der GAK zur Verfügung hatte, als er in der Saison 2003/04 österreichischer Fußballmeister und Cupsieger wurde. An 25.000 Euro zu scheitern, das ist einem Verein mit dieser Vergangenheit nicht würdig und trotzdem ist es passiert. Das sind die Ungerechtigkeiten im Leben. Mit einem großen Knall gehen, das wäre es gewesen, am besten am Tag des Meistertitels. Dann wäre der Mythos wohl überlebensgroß gewesen und uns Fans viel Enttäuschung erspart geblieben. Bei so einer unsauberen Verabschiedung und so viel aufgestauter Wut bleibt uns nur eine Möglichkeit: Neugründung im Jahre 2012. 2012 ist eh eine schöne Zahl. Fast so schön wie 1902.

 

Und bis dorthin sind „wir“ jetzt einmal tot.


Live wird der Text am 04. Nov. 2012 um 19:00 in der Literatursendung auf Radio Steiermark/ORF gelesen.
 

Wa.