Monday, February 07, 2022

Da gab es schon viel Schlimmeres!


 

Kathleen Kent hat mit „Die Toten mit der roten Strähne“ ihren ersten Thriller verfasst. In ihrem literarischen Vorleben schrieb sie historische Schinken. Ob das gut geht?

 

Die US-Autorin Kathleen Kent hat eine rege literarische Vergangenheit, sie schrieb Romane, die es jedes Jahr als Kiloware angeboten werden und durchaus ihr Publikum finden. Ihre historischen Romane mit Schall und Rauch und viel Getöse eignen sich wunderbar für Nachmittage im Schwimmbad oder für langwierige Zugfahrten. Kents Romane laufen unter verheißungsvollen Titeln wie „Die Tochter der Ketzerin“, „Die Ausgestoßenen“ oder „Die Frau des Verräters“. Mit Themen wie die Hexenjagd und das Aufgebehren gegen das Patriarchat schafft es die Autorin zu Büchern, die global gesehen sicher zu Bestseller wurden. Okay, es ist kein zweites „Vom Winde verweht“ dabei, aber im Land der unbegrenzten Auflagen ist „der Bestseller“ wesentlicher als alles andere. Dann war einige Jahre Funkstille, warum auch immer, und nun wartet die Autorin mit ihrem ersten Thriller namens „Die Tote mit der Roten Strähne“ - immerhin im deutschen Qualitätsverlag - auf. Die Frage drängt sich auf: Was kann das Werk?

 

Gut gebaut ist halb gewonnen

Die Antwort in sechs Wörtern: Da gab es schon viel Schlimmeres! Hauptcharakter Detective Betty Rhyzyk kommt aus einer polnischen Polizisten-Familie, der Blutzoll ist in der Familie nicht zu übersehen, aber Betty hält eisern die Fahnen hoch und ist im Drogendezernat in einer No Name City in Texas, nahe der Grenze zu Mexiko, stationiert, dazu ist sie lesbisch und wirkt auf Männer anziehend. Im Grunde hätte die Hälfte an Eigenschaften für den Roman gereicht, aber die Autorin hat vermutlich gleich bei der Konzeption des Erstlings an diverse Fortsetzungen gedacht, da zahlt sich eine große Menge an Erscheinungsmerkmalen schon aus. Detective Betty Rhyzyk kämpft auf alle Fälle heroisch für das Recht aller Unterdrückten, das Training dazu dürfte sie in ihren historischen Romanen absolviert haben. 

Trotz gewisser literarischer Vorbehalte ist der Thriller inhaltlich gut gebaut. Hier wird Tempo gemacht, jetzt nicht auf Teufel komm raus, aber es kommen doch immer Schüsse aus Ecken, wo man sie nicht vermutet. Psychopathen, historische, nachgespielte Schlachten, missglückte Beschattungen, rechte Nachbarn und eine quasi sich in die Fortsetzung schwindelnde Täterin ergeben in Summe einen Themenwald, wo die Autorin gekonnt hindurchgaloppiert. Der Einfluss der Streaming-Dienste wird hier spürbar, und gut möglich, dass der Roman auch schon in seriengerechte Happen zerteilt wird, zumindest liegen in den USA bereits zwei Fortsetzungen im Buchhandel auf. Vielleicht lässt man nach der Lektüre den Roman auch im Strandcafé liegen, aber zumindest fertiggelesen hat man ihn. 

 

Mord, oder nicht Mord

Aus der Boulevard-Presse kennt man solche Geschichten: Drei Frauen und ein Mann leben zurückgezogen in einem Haus, schön verankert in einem Wohnbezirk. Die vier Bewohner sieht man eher selten, sind aber jetzt auch nicht auffällig. Plötzlich stehen vor dem Haus am frühen Morgen einige Einsatzfahrzeuge mit Blaulicht und auf einer Bahre wird eine der Frauen herausgetragen, die sich scheinbar zu Tode gehungert hat. Sehr schnell wird klar, dass sich zur Tatzeit die Insassen in einer glaubensbedingten psychischen Ausnahmesituation befanden. Schon bald fällt der Groschen: War das nun Mord an der schwächsten Persönlichkeit, fahrlässige Tötung oder doch der freie Wille zu sterben. Dazu spielt der Roman in den Niederlanden, wo dieses Thema freizügiger gehandhabt wird. Die Autorin Gerda Blees macht es sich in „Wir sind das Licht“ nicht leicht, hält gekonnt ihre Meinung zurück und lässt die anderen erzählen, auch die Häuser und ein Stück Brot dürfen an der Story mitwirken. Ob es diesen Kunstgriff braucht, ist fraglich, aber Gerda Blees Roman hat gefühlt etwas mit dem „Tatortreiniger“ im TV zu tun, durchaus unterhaltsam, doch mit ernstem Hintergrund: Wenn nichts passiert wäre, hätte die Reinigung auch nicht kommen müssen. 

 

© VN / Martin G. Wanko

 

Kathleen Kent: „Die Toten mit der roten Strähne“, 361 Seiten, Suhrkamp.

Gerda Blees: „Wir sind das Licht“, 239 Seiten, Zsolnay

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