Sunday, January 16, 2022

Über verrückte Spieler, einem wütenden Bauer und dem guten Bobo





Jonathan Lethem, der verrückte Autor mit Stil, legt mit „Anatomie eines Spielers“ seinen neuen Roman vor.

 

Seine Brooklyn Romane „Motherless Brooklyn“ und „Die Festung der Einsamkeit“ machten den Autor zum Fixstern im Himmel der verwegeneren Literatur, die jedoch durch ihre Hollywood-Verfilmungen mehrheitsfähig wurde. Mit der „Anatomie eines Spielers“ legt er, unschwer zu erraten, einen Roman über einen Spieler hin. Alexander Bruno ist Berufsspieler. Er verdient sein Geld damit, indem er ambitionierte Amateure ausnimmt. Sein Leben funktioniert wie die ersten Minuten eines James Bond Film der 1980er-Jahre. Das Leben ist glamourös, Sorgen hat man morgen, wenn überhaupt. Dahinter steckt ein System, Edgar Falk finanziert die Spiele vor, treibt danach bei den Schuldnern das Geld ein und behält sich seinen Anteil. Bruno kann weltweit gebucht werden und ist nicht unelegant im Spielerparadies Singapur stationiert. Sein Spiel ist übrigens das Brettspiel Backgammon. Das geht so lange gut, bis Bruno, als schwarzen Fleck in seiner Iris, einen Gehirntumor wahrnimmt und parallel dazu seine Glückssträhne verliert. Zugleich ist das der Zeitpunkt, wo Autor Jonathan Lethem zur Höchstform findet. 

 

Die Rückkehr des Frankenstein 

In atemberaubender Geschwindigkeit schickt er seinen Protagonisten nach Berlin, von dort weiter nach San Francisco, genauer in die Universitätsstadt Berkeley, um sich von einem umstrittenen Chirurgen, Noah Behringer, operieren zu lassen: Um an den Tumor zu kommen, bohrt er kein Loch in den Schädel, sondern schneidet ihn frontal auf. Danach soll ein langsamer Heilungsprozess vonstatten gehen und den Eingriff unsichtbar machen – wenn alles gutgeht. Willkommen im Spiel um das Leben oder bei Mary Shelleys Frankenstein. Finanziert wird die Operation von einem alten Freund aus Berkeley, der durch Immobilienspekulationen und dem Hochziehen einer wüsten Unterhaltungs- und Restaurantkultur sich in der Universitätsstadt nicht nur Freunde macht. 

Ein typischer Super-GAU für Lethem, der ein wertbefreites Amerika durch den Schredder jagt. Als Galionsfigur sieht man den erkrankten Spieler sich durchs Leben zu kämpfen. Fein säuberlich verknüpft er seine Angelpunkte und lässt das Spiel fast wie von selbst vonstattengehen. Einzig schade, dass der Funken nicht immer zum Leser überspringt. Elendslange Spielpassagen sind nichts für die Literatur. Und, nicht zuletzt fehlt es Bruno Alexander an einem höheren Ziel. Muss man nicht haben, klar, aber wenn die Struktur des Romans ein Ziel verlangt, sollte eines kommen. Fazit: An sich eine interessante, ausbaufähige Trockenschwimmübung, mal schauen was passiert, wenn die Drehbuchautoren sich über das Werk hermachen und die Schleusen öffnen.

 

Die Identität am Berg

„Bauer und Bobo“, das klingt so ähnlich wie „Bauer sucht Frau“, ist aber nichts dergleichen. Zur Begriffserklärung: Ein Bobo ist eine urbane Person, die für das Gute steht und den Genüssen dieser Welt, solange bio-zertifiziert, nicht abgeneigt ist. Zum Buch: Als Bauer fungiert der „Wutbauer“ Christian Bachler und als Bobo, der Falter-Chefredakteur Florian Klenk, der die Reportage auch verfasste. Nach einem Vorgeplänkel lernte Klenk Bachlers Hof in den steirischen Bergen persönlich kennen und schätzen. Kurz später war der Bauer am finanziellen Abgrund, Florian Klenk setzte seine Kontakte ein, ein Wirtschaftsplan wurde erstellt und in einem sagenhaften Crowdfunding wurde in kurzer Zeit rund eine halbe Million Euro aufgestellt – so viel einmal zum wahrgewordenen Märchen, das dieser Reportage zu Grunde liegt. Liest man zwischen den Zeilen, werden alte Mitterer-Dramen äußerst aktuell, Axel Corti-Verfilmungen nach wie vor gültig und die Franz Innerhofer-Romane noch immer lesenswert. Da sieht man wieder die Herren in feinem Zwirn am Hof stehen, um technokratisch über Schicksale zu bestimmen. Einmal wird Weidefläche, dann bloß das Vieh gefördert und zum Zurückzahlen ist allemal was. Fazit: Nicht jeden Tag Fleisch essen und dann bewusst etwas mehr zahlen. Immerhin isst man Nahrung, die einem noch kurz vorhin angeschaut hätte. Das könnte man sich im neuen Jahr vornehmen.

 

Vorarlberger Nachrichten - Martin G. Wanko

 

Jonathan Lethem: „Anatomie eines Spielers“, 393 Seiten, Tropen Verlag

Florian Klenk: „Bauer und Bobo“, 155 Seiten, Zsolnay 

 

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