Triest kann viel, nur nicht das gewohnte Bild Italiens wiedergeben. Der Reise- und Gourmetjournalist Georges Desrues geht in „Triest für Fortgeschrittene“ durchaus auf Einblick mit Tiefgang.
Wer im Schatten von Venedig liegt, tut sich schwer Aufmerksamkeit zu erlangen. So dämmert Triest, seit dem Wachküssen unter Maria Theresia, vor sich hin. Aber es gibt emsige Autoren und auch immer mehr Qualitätstouristen, die sich mit der Stadt behutsam auseinandersetzen. „Triest für Fortgeschrittene“ heißt ein ambitionierter Band mit essayartiger Reiseliteratur, aktuellen Bildern und Stadtpläne, auf denen man die Wege nachwandern kann. So offeriert das Buch mehr als einen Überblick, eher schon den Durchblick.
Buntes Stecktuch
Georges Desrues bleibt von Anfang an ganz ehrlich: Natürlich ist er vernarrt in diese Stadt, sonst würde er dort die letzten fünf Jahre nicht leben, aber Triest ist jetzt weder das Mekka der Antike noch der Renaissance. Und während der Canal Grande in Venedig ein Prunkstück zum Flanieren und Prominieren wurde, blieb der Canal Grande in Triest ein sehr nutzungsbezogenes Stück Wasser zum Beladen und Entladen der Fracht. Aber Triest war auch für den Norden die Öffnung zum Mittelmeer und nicht zuletzt für das monarchistische Österreich sozusagen das bunte Stecktuch der sonst doch ziemlich biederen Habsburger Monarchie. Mit dem Freihafen schuf man das Tor zur Welt und ließ Menschen aller Herren Länder hinein: Händler, die großzügige Villen bauten, Syrer, Armenier und Briten, die sich ganze Straßen und sogar Vierteln einverleibten. Die Habsburger kreierten mit dem Borgo Teresiano einen ganzen Bezirk nach ihren Vorstellungen und auch den, für Italien, einzigen offenen Hauptplatz zum Meer, die Piazza dell’Unità. Und mit den Investitionen auch Anziehungspunkt für Kultur und Wissenschaft.
Das Spannende in „Triest für Fortgeschrittene“ ist, dass hier Architektur von einigen Jahrhunderten in einer Art historischen Timeline aufgezogen wurde: Von der Antike über Art-déco-Klassikern bis zu Otto Wagner inspirierten Jugendstilbauten, kommen auch Elemente aus dem Faschismus und eher zweifelhafte Erneuerungen der Stadt nicht zu kurz. Überhaupt sei dem gebürtigen Franzosen gedankt, mit Fakten wie Faschismus und Links- oder Rechtsextremismus sehr nüchtern umzugehen und sie objektiv in die Kapitel einfließen zu lassen. Kulinarisch ist auch einiges da, auch immer gut in Notizen zusammengefasst. Ob es nun die angeleiteten Wege zu den Osmizen am Karstplateau sind, die einem einen entspannenden Blick auf das unorthodoxe Italien geben, zum Beispiel auf das überwältigende Areal des alten Hafens, der zugleich visionäres Industriedenkmal und Hoffnungsträger für ein historisches und modernes Triest ist. Die Stadt trägt noch die Handschrift von Riccardo Illy, zweimaliger Bürgermeister - man sehnt sich nach einem Nachfolger mit ähnlicher Leuchtkraft. Eine Art Guggenheim müsste her, denn wer hatte außerhalb des Fußballs Bilbao jemals auf dem Radar?
Ein Altmeister in Aktion
Als Zugabe einer der es so richtig kann, und zum Glück auch die nötige Beachtung findet, ist Max Annas, deutscher Kriminalromanautor der ersten Stunde, der sich immer wieder mit Themen seines Landes auseinandersetzt. In seinem aktuellen Roman, „der Hochsitz“, geistert im Jahre 1978 das widerauferstandene RAF-Gespenst durch Deutschland, das auch in einem kleinen Dorf in der Eifel, nicht unweit der Grenze nach Luxemburg, sein Unwesen treibt. Dazu kommen Banküberfälle in sonderbarer Häufung und ein Cadillac, mit Frankfurter Kennzeichen, der auffällig oft durch Dörfer fährt und Landwirten überzogene Kaufofferte für ihre Höfe hinterlässt. Einiges aufzuklären in einem ruhigen Dorf, wo sonst so gar nichts passiert und die Kinder in den Ostertagen eigentlich nur die WM-Kleber für die anstehende Fußball-MM in Argentinien aus den Hanuta-Schnitten-Packungen sammeln wollen und so nebenbei am geheimen Hochsitz den Fall gelöst bekommen. Aber wer glaubt schon den Kindern? Ein meisterlich geschnipseltes Werk mit überraschenden Wendungen, in einem politischen Deutschland der 1970er-Jahre.
(c) Vorarlberger Nachrichten / Martin G. Wanko
Georges Desrues: „Triest für Fortgeschrittene“, Styria Verlag, 200 Seiten.
Max Annas: „Der Hochsitz“, Rowohlt, 270 Seiten.
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