Sunday, October 14, 2018

Venedig kulinarisch literarisch betrachtet.




Kaum eine Stadt bietet mehr für einen literarischen, essayistischen und zugleich kulinarischen Diskurs als die Stadt Venedig. Sie offeriert die opulenteste Geschichte aller abendländischen Städte, und manch romantischen Traum, dazu die Schattseiten des Massentourismus sowie ein verabsäumter Umwelt- und Denkmalschutz. Donna Leon legte vor einigen Jahren einen gelungenen Rezeptband vor, „Bei den Brunettis zu Gast“, in dem sie Gerichte beschreibt, welche Brunettis Gattin Paola dem Kommissar kredenzt. Sie öffnete hier quasi ein Tor für andere Autoren.

Die Literatur und der Fisch
Ein anderes Konzept verfolgt der Koch und Autor Gerd Wolfgang Sievers. Mit seinem geschmackvollen Band „la cucina veneziana“ schöpft er aus dem Vollen. Durch fundierte Essays erklärt er über den Umweg der Kulinarik dem Leser ganz nebenbei Venedig. Mit reichlich Wissen ausgestattet, beschreibt er zum Beispiel wie es nun wirklich zu den eher mittelmeerfremden Venedig-Gerichten rund um den norwegischen Stockfisch kam, was es mit den venezianischen Patriziern bei venezianischem Salat auf sich hatte, oder wie es zu frittierten Sardinen mit Zwiebeln „Pesce in Saòr“ kommt. Natürlich verweilt er auch in Harrys Bar und lässt sich diverse Gerichte auf der Zunge zergehen, dennoch wird den Rezepten nur ein kleiner Teil des Buches eingeräumt. Dem Autor geht es wie gesagt eher um die Hinführung zu den Gerichten. Auch die Fotos sind erwähnenswert. In Smartphone-Qualität behalten sie eine gewisse Frische und zeigen die Lagunenstadt auch außerhalb der Highlights durchaus sehenswert. 


Das goldene Buch
Ähnlich wie Donna Leon hingegen verfährt Russell Norman in seinem opulenten Kochbuch „Venedig – das Kochbuch“. Der britische Gastronom zog in eine kleine Wohnung nach Venedig, um quasi seinen Nachbarn in die Kochtöpfe zu schauen. Was kocht der venezianische Bürger so, ist hier die Frage. Hinzu kommen seine Streifzüge durch Märkte und Lokale. Schlussendlich machte sein Projekt die Runde, es klopften die Venezianer an seine Türe und reichten ihm Kochrezepte ihrer Mütter oder Großeltern. Auch auf diesen Seiten findet sich immer wieder der Verweis auf die offene und dem Fremden aufgeschlossene Gesellschaft Venedigs. Daraus resultieren wunderbare und doch einfach Gerichten wie Tagliatelle mit Hühnerleber oder Kalbskottelet mit Salbei und Zitrone. Aber auch Russell Norman besticht durch gelungene Beschreibungen des Weges zu den Gerichten, der Stadt an sich und den vier Jahreszeiten. Hier findet man eindringliche Beschreibungen, die durchaus eine literarische Komponente haben. Alleine der Goldrand an den Seiten und die luxuriöse Aufmachung sind dieses Kochbuch wert. Venedig darf auch nobel sein. 

Vorarlberger Nachrichten - Martin G. Wanko

Gerd Wolfgang Sievers: „la cucina veneziana“, 348 Seiten, Braunmüller
Russell Norman: „Venedig – Das Kochbuch“, 320 Seiten, Doring Kindersley Verlag

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