Die Großstadtsümpfe und wahre Sümpfe - zwei Autoren suchen sie auf. |
Die Großstadtsümpfe und wahre Sümpfe - zwei Autoren suchen
sie auf.
Joe R. Lansdale begibt sich in das Hinterland von Texas,
weit vor unserer Zeit. In der atemberaubenden Geschichte „Dunkle Gewässer“ erzählt
er über das Schicksal einer kleinen Bande, die aus einem Dorf Reißaus nimmt. Am
Anfang steht hier ein Mord an der hübschen aber ärmlichen May Lynn, die grausam
massakriert im ortsnahen Fluss versenkt wurde. Ihre Freundin Sue Ellen und zwei
Kumpels finden, dass May Lynns Traum nach Hollywood zu gehen, wenigstens nach
ihrem Tod in Erfüllung gehen sollte, indem sie ihre Asche in die Stadt der
Träume bringen wollen. Ein kühnes Vorhaben, ist man doch wirklich im letzten
Nest, in den Sümpfen von Texas beheimatet. Plötzlich finden sie in May Lynns
Tagebuch eine Schatzkarte, und eine abenteuerliche Reise durch ein raues Land
beginnt.
Abenteuer und Soap
gemischt
Auf den ersten Seiten des Buches fühlt man sich in einen
Roman von Donald Ray Pollock hineinversetzt, dem neuen Star der ungeschönten historischen
Darstellung der Vereinigten Staaten. Äußerst präzise wird hier von der
Ich-Erzählerin, der jungen Sue Ellen, geschildert, welche Gegebenheiten es mit
dem Ort und den ansässigen Familien auf sich hat. Würde es nicht die junge
kraftvolle Stimme Sue Ellens erzählen, die viel Wind und auch Komik in die
detailverliebten Grausamkeiten bringt, müsste man wohl einige Male schlucken. Doch
Mord und Totschlag verlieren sich immer mehr, übrig bleibt eine nicht unsympathische
Geschichte über einige Ausreißer. Der Autor bleibt hier sehr gut in der Zeit
der Industrialisierung, schreibt die Story aber in Form einer modernen
Abenteuergeschichte, mit viel Augenzwinkern. Er entdeckt für sich die Kraft des
Trivialen, der Soap, des Kitsches. Das mischt er geschickt in die Geschichte
hinein, es nimmt ihr dadurch den bitteren Beigeschmack einer literarischen
Sozialstudie und macht sie so geschmeidiger und die Charaktere vor allem
menschlicher. Auf den Punkt gebracht, ist „Dunkle Gewässer“ eine Parabel des
Verzeihens, ohne aber zu sehr wie ein Lehrstück zu klingen.
Paul Austers lässt
grüßen
E. L. Doctorow ist hier wohl schon abgebrühter. Er zählt zu
den großen amerikanischen Autoren und bringt mit „Alle Zeit der Welt“ ein Buch
mit Kurzgeschichten heraus. Im Fokus stehen die Großstadtsümpfe und ihre
Skurrilität. Ein Mann verduftet aus seiner Familie, beobachtet einige Zeit ihr
Treiben, um schlussendlich doch wieder aufzutauchen; ein Amerikaner ohne
nennenswertes Einkommen ehelicht eine Immigrantin, um zu Geld zu kommen und
verliebt sich in sie; der Autor lässt den Leser auch in die nicht minder
interessante Welt eines geistig Abnormen hinein – vielleicht liegt es daran,
dass manche Storys schon etwas abgewetzt sind, denn schlussendlich kommt man
dem Autor zu schnell auf die Schliche und hat eine Ahnung wie die Geschichten
ausgehen. Das ist jetzt nichts Schlechtes, schmälert jedoch die Freude am
Lesen. Trotzdem: Der Freund an soliden amerikanischen Kurzgeschichten, die eine
Spur nach Paul Austers früheren Werken klingen, sollte sich E. L. Doctorow
nicht nehmen lassen.
Martin G. Wanko
Joe R. Lansdale: „Dunkle Gewässer“, 320 Seiten, Tropen
Verlag.
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