Autoren auf Reisen - der Neid könnt einen fressen! |
Ein Deutscher und ein Pole wollen einen Oligarchen aus dem Hinterland von Sibirien retten, der im letzten Gefängnis vor der chinesischen Grenze sein Dasein fristet. Der Oligarch Chodorkowskij erinnert sehr an den inhaftierten Michail Chodorkowski und auch den Russland-Trip den die beiden hinlegen, ist sehr fundiert.
Bis ans Ende der Welt.
Olaf Kühl schrieb mit „Tote Tiere“ einen klassischen Abenteuerroman, der neben der Spannung, die zum Teil schon in den Thriller hineinreicht, viel mehr zu bieten hat, als diesen anschwellenden Nervenkitzel. In Fahrten mit Boot, Bahn, Bus oder maroden Taxis lernen sie Russland von unten kennen. Es sind Städte wie Irkutsk oder Tschita, Orte wo die wahre russische Seele beheimatet ist, Orte die man wahrscheinlich nie persönlich kennen lernen wird, doch diese spannende Fremdheit macht diesen Roman zu einer wirklich sehr lesenswerten Fokussierung auf das neue Russland.
Der Trip bis ans Ende der Welt soll dazu dienen den Oligarchen Michail Chodorkowskij aus dem Gefängnis zu befreien, der zumindest in der westlichen Welt zu den Guten gezählt wird. Doch die Unterwelt, auch die Regierung und die Geheimdienste, scheint ihnen immer einen Schritt voraus zu sein. Man weiß über sie überall Bescheid, nur selten erfahren sie ganze Wahrheiten, ein jeder scheint hier sein eigenes Süppchen zu kochen. Dazu gibt es jede Menge russischen Alltag, interessante Menschen und ein bisschen Liebe. Die zwei Freunde kratzen immer nur knapp die Kurve und zerbrechen doch irgendwie an der Weite des Landes und am Widerstand des Systems. Dieser Roman ist kein Märchen, sondern eine gut dossierte Abenteuergeschichte mit Mehrwert. Und Olaf Kühl ist ein Autor mit großem Herz: In ihm haben Russland, Polen und Deutschland Platz.
Eine intelligente Liebeserklärung
In Olaf Kühls Abenteuerroman ist Berlin der Wohnort der beiden Freunde. Von JM Stim ist Berlin der Ort seiner Seele, so einen herzerfrischenden und klugen Essay hat der österreichische in New York lebende Autor über die Hauptstadt Deutschlands geschrieben. „Hier ist Berlin“, heißt sein munteres Gedankenelaborat, und wenn es eine definitive Schrift über das Berlin der Jahre nach dem Mauerfall geben soll, dann ist Stims Essay unbedingt in die engere Auswahl mit hineinzunehmen. Kein Tourismus-Berlin, sondern er beschreibt die Stadt als lebende Substanz, als Enfant terrible unter den deutschen Städten, als ewigen Jungbrunnen, der sich nach der Wende neu erfinden musste und gut daran tat, zuerst einmal auf die Selbstsuche zu gehen. Stim stimmt ein Hohelied auf die freie Szene und die neue Toleranz an. Berlin erfüllt sich den Traum, den jeder Jugendliche träumt: „Zu sein, ohne etwas werden zu wollen … eine Erzählung ohne Plot, mit einem Anfang, aber ohne Ende.“ Den Roman dazu gibt’s übrigens auch, den hat Tino Hanekamp geschrieben und heißt „So was von da.“
Von Martin Wanko
Olaf Kühl: „Tote Tiere“, 285 Seiten, Rowohlt Berlin.
JM Stim: „Hier ist Berlin“, 56 Seiten, Rokko’s Adventures.
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